Sommerakademie Prag EBCA KAB

Prag, 16 Juli 2012. Unter dem Titel „Europa auf dem Weg in den sozialen Kollaps?! Finanzmärkte – Armut – Partizipation" fand in der Zeit vom 8. bis 14. Juli 2012 im Hotel Krystal in Prag/Tschechische Republik ein Seminar mit 40 Teilnehmer/innen aus sechs europäischen Ländern (Belgien, Deutschland, Italien, Österreich, Schweiz und Tschechische Republik) statt. Die Gruppe der Teilnehmenden setzte sich aus haupt- und ehrenamtlichen MultiplikatorInnen in der politischen Bildungsarbeit sowie aus Führungskräften der christlichen Arbeitnehmerorganisationen und Gewerkschaften der teilnehmenden Länder zusammen.
 

Die Projektplanung und -durchführung lag bei der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Deutschlands e.V.. Mitveranstalter des Projektes waren die Katholische Arbeitnehmer/innen-Bewegung Österreichs, die Katholische Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmer-Bewegung der Schweiz und der Katholische Verband der Werktätigen Südtirols (KVW). Zur Vorbereitung bildeten die vier Arbeitnehmerorganisationen im Vorfeld eine länderübergreifende Arbeitsgruppe (bestehend aus haupt- und ehrenamtlichen Führungskräften aus den Bewegungen), die sich mehrmals traf, um die Rahmenbedingungen und die inhaltliche Ausrichtung des Seminars zu fokussieren. Das Seminar wurde in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum für Arbeitnehmerfragen (EZA) durchgeführt und finanziell unterstützt von der Europäischen Union.


Vor dem Hintergrund der derzeitigen Ereignisse und Entwicklungen war das Thema von hoher Aktualität: Die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise – ausgehend von der Immobilienkrise 2006/2007 der USA – hat die europäischen Länder in unterschiedlichem Ausmaß getroffen, hier insbesondere den Bankensektor. Der Euroraum insgesamt steht seit Mitte 2009 verstärkt unter Druck, denn einerseits führt die hohe Staatsverschuldung einzelner Länder zu einer „Staatenkrise“, die erhebliche Anpassungsprozesse in der Fiskal- und Arbeitspolitik in Gang gesetzt hat (vor allem in Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und Irland), andererseits verschärfen die Umbauprozesse die soziale Spaltung innerhalb Europas und der einzelnen Länder und erhöhen somit die Gefahr eines sozialen Kollaps in Europa.

 

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Hinzu kommt, dass durch die Entfesselung der Finanz- und Kapitalmärkte und die Deregulierung der Kapitalverkehrskontrollen der Spekulation mit Staatsanleihen Tür und Tor geöffnet worden ist. Die Krise trifft so auf eine „politische und wirtschaftliche Lage“, in der eine gemeinsame schlüssige Antwort europäischer Politik bisher ausgeblieben ist. Europäische Politik (im Zusammenspiel von EZB, IWF und der Europäischen Kommission) beschränkt sich auf Rettungsmaßnahmen und Umbauprozesse in den betroffenen Ländern, die in erster Linie drei Ziele verfolgen: (1) Konsolidierung der staatlichen bzw. öffentlichen Haushalte; (2) Stabilisierung des Bankensektors und (3) Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit zur Senkung der Auslandsschulden, insbesondere durch Absenkung der Arbeitskosten und tiefe Einschnitte in die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie deren kollektiven Interessenvertretungen (z.B. in Griechenland, Portugal, Spanien, Irland).

Dies war der inhaltliche Hintergrund der Seminareinheiten, die Entstehung, Zusammenhänge und Folgen der Krise aufgearbeitet haben. In einem ersten Zugang wurden die Grundfunktionen des Geldes erarbeitet, um deutlich zu machen, welche Funktionen (Noten)Banken heute übernehmen und welche grundlegende Bedeutung verschiedene Formen des Geldes und Finanzprodukte und deren profitablen Vermehrung in modernen Gesellschaften heute haben. Hierbei wurde insbesondere die Finanzierungs- und die Spekulationsfunktion herausgestellt. In einem zweiten Schritt konnte auf dieser Grundlage ausgehend von der aktuellen europäischen Krise die Spekulation und ihre Folgen erörtert werden.

In einem dritten Schritt wurde die historische Entwicklung der Entfesselung der Finanzmärkte und der Ablauf der aktuellen Krise aufgezeigt, wobei deutlich wurde, dass die derzeitige Krise nicht zuletzt eine Folge fehlender politischer Regulierung ist bzw. einer verfehlten neoliberalen Politik, die auf Deregulierung und Liberalisierung in allen Bereichen setzt. Damit waren die Grundlagen gelegt, um die Folgen der Krise im Detail im Hinblick auf einzelne europäische Länder analysieren und bewerten zu können. Anhand der Entwicklungen in Frankreich, Italien, Österreich und Ungarn vor und in der Krise wurden einzelne politische und wirtschaftliche Reaktionsmuster in den Bereichen Arbeitnehmerrechte und Lohnentwicklung, Arbeitslosigkeit, Fiskalpolitik und „Armutspolitik“ aufgezeigt und in einer Gruppenarbeit durch die Erfahrung der Teilnehmenden aus den einzelnen Ländern ergänzt.

Die Folgen der Krise wurden ebenfalls vorrangig in drei Themenbereichen evaluiert: Arbeit, soziale Sicherheit und Steuerpolitik. Dabei wurden generelle Tendenzen und Differenzierungen im Hinblick auf einzelne europäische Länder herausgearbeitet. Dieser Befund wurde mit der Frage konfrontiert, welchen Beitrag die Europa 2020 Strategie zur Überwindung der Krise und für ein soziales Europa leisten kann. Die Strategie wurde in ihren drei Prioritäten, fünf Kernzielen und sieben Leitinitiativen systematisiert und vorgestellt. In der Erarbeitungs- und Vertiefungsphase konnten Stärken aber auch Schwächen der Strategie vertieft werden.

Eine Vertiefung der Thematik fand zudem durch eine Auseinandersetzung mit Strategien zur Armutsbekämpfung in Europa statt. Dabei wurden das Ausmaß der Armut und mögliche Strategien zu ihrer Bekämpfung und deren Auswirkungen (Erhöhung der Beschäftigtenquote, Mindestlohn, Strukturpolitik etc.) abgewogen.

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Des Weiteren wurden die politischen Reaktionsmuster nationaler und europäischer Politik analysiert, wobei deutlich wurde, dass die Krise und die mit ihr verbundenen politischen Entscheidungen einen massiven Eingriff in die demokratischen Rechte der Parlamente und damit der Bürgerinnen und Bürger in Europa bedeuten.

Diese Arbeitseinheiten haben insbesondere deutlich gemacht:

  • Die landläufigen und allenthalben vertretenen Erklärungen (hohe Staatsverschuldung, Eurokrise etc.) bieten keine adäquate Ursachenanalyse für die Krise an.
  • Die neoliberale Doktrin und der „Marktradikalismus“ haben sich durch die Krise „gerettet“. So wird die Ursache der Krise gleichzeitig zu ihrer Überwindung proklamiert. Deregulierung und Privatisierung, der Abbau der Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Flexibilisierung und die Privatisierung öffentlicher Güter wird so weiterhin vorangetrieben und die soziale Spaltung innerhalb der europäischen Staaten und zwischen ihnen verschärft und beschleunigt.
  • In Europa besteht ernsthaft die Gefahr der Aushebelung der Demokratie bzw. grundlegender Mitbestimmungsrechte der Bürgerinnen und Bürger.
  • Die Vorstellung von einem „anderen Europa“ des sozialen Zusammenhalts und des sozialen Ausgleichs muss entwickelt und umgesetzt werden. Ein sozial gerechtes Europa und eine entsprechende Politik müssen die Antwort auf die Krise sein.
  • Besonderer Bedeutung zur Gestaltung dieses Europas kommt der Zivilgesellschaft und der sie gestaltenden Organisationen, Netzwerken und Verbänden zu.

Von großer Bedeutung war für die Teilnehmer/innen neben der intensiven Beschäftigung mit den beschriebenen Inhalten auch das Angebot, das Erlernte praktisch in einem politischen "Plakatdruck“ festzuhalten und somit aus der eigenen Perspektive exemplarisch aufzubereiten und neue Methoden politischer Bildungsarbeit zu erlernen.

Gleichzeitig galt es, politische Aktionsmöglichkeiten über nationale Grenzen hinweg zu entwickeln und gemeinsam konkrete Handlungsfelder und Schritte zu erarbeiten, mit dem Ziel Impulse für ein Engagement für ein soziales Europa zu geben und die Netzwerke christlicher Sozialbewegungen in Europa weiter zu entwickeln und sie als Akteure in den Zivilgesellschaften zu stärken. Neben einer inhaltlichen Einführung in neue Aktionsformen wurden in Arbeitsgruppen konkrete Vorhaben und weiterführende Aktionsmöglichkeiten erarbeitet. Dabei reichte das Spektrum von Wanderausstellungen über neue Aktionsformen wie "flash mob" bis hin zu nationalen und europäischen Befragungen und Petitionen. Verabschiedet wurde eine gemeinsame Resolution zur Weiterarbeit in den beteiligten Ländern.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich sowohl die inhaltliche Festlegung des Seminars als auch die methodische Vorgehensweise als richtig für die Teilnehmenden erwiesen hat. Dies gilt sicher auch für die weitere inhaltliche wie methodische Arbeit in den einzelnen Bewegungen und die gemeinsame Arbeit im veranstaltenden Netzwerk.

Mechthild Hartmann-Schäfers, Seminarleitung
KAB Deutschlands e.V.

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Prager Resolution

Die Teilnehmerinnen der 6. Sommerakademie von 8. – 14. 7.2012 zum Thema „Europa auf dem Weg in den sozialen Kollaps?! Finanzmärkte – Armut – Partizipation“ haben sich unter anderem ausführlich mit der von der EU-Kommission erarbeiteten Europastrategie 2020 auseinander gesetzt und eine Resolution verabschiedet.

Die Prager Resolution als pdf-Datei